Samstag, 30. Januar 2016

(Un)Freiwilliges Entertainment

Neujahrsempfänge in Augsburg Stadt und Land

Ach, ich mag diese traditionellen Neujahrsempfänge von Städten, Gemeinden und Parteien. Bei vielen Gästen (und vor allem Journalisten) liegt das an den kostenlosen Getränken und den Häppchen. Aber das ist es gar nicht. Man erlebt dort als Radioreporter einfach so viel. Man führt Gespräche, bekommt Informationen und wird vor allem fantastisch unterhalten. Der Entertainment-Bereich findet teilweise unfreiwillig statt und ist von den Protagonisten nicht gewollt, aber das macht es gerade aus.

Die Highlights im Jahr 2016:

- Die CSU begrüßte Finanzminister Söder als Stargast. Der war zwar gesundheitlich etwas angeschlagen, seine Rede stieß in der Zielgruppe trotzdem auf Begeisterung. Ein paar Witze über Berlin (Flughafen etc.) gehen immer. Der Saal tobt. Nach dem offiziellen Teil dann der Einsatz des Radioreporters. Jedoch anders als gedacht. Eigentlich wartend auf das Interview mit dem Minister, bekommt man plötzlich ein Handy in die Hand gedrückt. Danach nochmal eins und weil's so schön war gleich wieder. Jeweils mit klarer Anweisung der iPhone-Besitzer, die sich währenddessen breit grinsend neben Söder aufstellen: "Foto, schnell!" Auch Markus Söder weiß nicht ganz genau, wie ihm geschieht. Er nimmt den Brief / die Broschüre / die Unterschriftensammlung für oder gegen irgendwas trotzdem freundlich in die Hand und lächelt etwas gequält in die Linse. Profi halt. Am Ende des Nachmittags ruft CSU-Urgestein Bernd Kränzle Söder dann noch zum neuen Ministerpräsidenten aus. Das nächste Mal werde Söder acht, neun Minuten Applaus erhalten! Denn "das ist die Dauer, die in entsprechenden Positionen üblich ist!"
Ich hoffe übrigens, meine Fotos waren zur Zufriedenheit aller. Meist ist bei mir nämlich ein Finger vor der Linse. Vielleicht hätte ich das vorher sagen sollen.  

- Bei der Schwäbischen Wirtschaft ging es dieses Jahr um das Thema "Wirtschaft und Ethik". Sehr interessant und mit klugen Köpfen auf dem Podium. Und wäre der Stargast tatsächlich der gewesen, der angekündigt wurde, es wäre eine Sensation gewesen: Karl Marx, immerhin seit 133 Jahren tot. Raunen im Publikum, Gemurmel. Ach so, der IHK-Chef hat sich nur verlesen. Erzbischof Reinhard Kardinal Marx erklimmt anschließend die Bühne. Als dann der Moderator des Abends noch etwas von "Bitteschön, Herr Kriminal... Kardinal" erzählt, herrscht kurzzeitig belustigte Unruhe unter den 1000 Gästen.   

- Die Stadt Neusäß hatte ihre Bürger in die Stadthalle eingeladen. Angenehm kurze Reden, gute Musik, volle Hütte. Größtes Tuschel-Thema: Landrat Martin Sailer sitzt zeitgleich beim Empfang in Stadtbergen und war nicht in seinem Wohnort Neusäß. Ein Signal nach den Streitereien mit Neusäß über die Flüchtlingsunterbringung? Definitiv, sagen etliche, die es wissen müssen. 

- Die SPD hatte ihren Neujahrsempfang zeitlich extra nach vorne gelegt, um einen dicken Fisch an Land zu ziehen: Vizekanzler Sigmar Gabriel ist auf dem Weg zur Messe zum Deutschen Schaustellerverband und schaut vorher noch im Rathaus vorbei. Ankunft eine halbe Stunde zu spät.
Die Hollaria ist zur Überbrückung zur Stelle. Wegen Platzproblemen im Rathaus muss sie in der dunkelsten, hintersten Ecke des Saals auftreten. Dann kommt Gabriel, hat nur wenig Zeit. Entsprechend kurz fallen die Begrüßungen von Fraktionschefin Margarete Heinrich und der Parteivorsitzenden Ulrike Bahr aus. Letztere hatte es vor zwei Jahren geschafft, eine 30-minütige Rede zu halten - ausschließlich mit namentlichen Begrüßungen. Selbst hartgesottene SPDler brachen damals zumindest gedanklich in Tränen aus und echauffierten sich hinter vorgehaltener Hand. Diesmal also alles in angenehmer Länge. Gabriel bricht nach seiner Rede sofort auf. Mein Gespräch mit ihm beschränkt sich auf "Hallo Herr..." - "Keine Chance, muss weiter!" An seiner Stelle interviewe ich Stefan Kiefer: Weniger Körperumfang, aber (neuerdings) mehr Bart! 
Der Empfang wird später fortgesetzt, u.a. mit einer Rede des Regensburger OBs Joachim Wolberg.

- Die FDP hatte gleich zwei Stargäste: Die Generalsekretärin der Bundes-FDP Nicola Beer und den Landesvorsitzenden Albert Duin. Alles in etwas kleinerem Rahmen als bei den "Großen", aber trotzdem nett. Die bezaubernde Sängerin im roten Kleid wäre das Highlight des Abends gewesen, wäre da nicht jener bezopfte Herr gewesen, der plötzlich in einer hinteren Reihe aufspringt und das Grundgesetz in der Hand haltend die aktuelle Flüchtlingspolitik anprangert, brüllt und nicht mehr zu beruhigen ist. Stadtrat Markus Arnold muss den Flegel klischeehaft aus dem Saal bugsieren. Mit seinen letzten Worten an der Tür kündigt der Mann grölend seinen Austritt aus der FDP an. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Miriam Gruß geht mit ihrer sechsmonatigen Tochter in Deckung, um nicht den geballten Zorn des Herrn und seines Grundgesetzes abzubekommen. Die neue Kreisvorsitzende Katrin Michaelis bleibt bei ihrer Rede nach dem Vorfall relativ cool. Die zeitgleiche klägliche Niederlage der Augsburger Panther setzt ihr weit mehr zu. Eine Podiumsdebatte steht als letzter Programmpunkt an. Die geht jedoch so lange, dass nur noch eine Handvoll Gäste das Ende mitbekommt. Der Rest steht schon lange am Buffet. 

Das war's praktisch schon mit den Neujahrsempfängen 2016. Fast. Am 12. Februar kommt Frauke Petry zur AfD. Das wird leider nicht lustig. Eher traurig.