Mittwoch, 22. Mai 2019

Michis Arbeitsteilung


Bei uns in der Familie herrscht rund ums Kind ein klares Jobsharing. Weil Michi es so will. Er lässt da auch nicht mit sich reden, seine Bereitschaft zu Kompromissen ist noch wenig ausgeprägt. Kommt Oma zur Tür herein, muss sie während ihrer gesamten Anwesenheit den Plüsch-Mops gemeinsam mit Michi durch die Wohnung Gassi führen. Pausenlos. Für ihren mitgebrachten Krapfen hat Oma keine Zeit, den verspeist Michi später selbst. Ähnlich ergeht es Detektiv Sherlock und dem Fuchs. Der eine ist eine Plastikfigur und der andere ist ein Plüsch-Fuchs mit einer absurd langen Nase. Beide können sprechen. Oder sollen sprechen. Michi interagiert gern mit ihnen, will sie füttern, bietet ihnen trinken an und reicht ihnen einen Ball. Das Ganze wiederum geht nur, wenn Mama zu Hause ist. Sie ist die Königin der sprechenden Puppen. Was bleibt für den Papa? Vermutlich berufsbedingt ist es das Vorlesen. Bücher werden stets zu Papa getragen. Besonders gut kommen derzeit Bücher an, wenn auf den Bildern ein Apfel („Da!), ein Auto („Brrrr!) oder ein Hund („Wawa!“) zu sehen ist.
Bei der Lektüre eines Buchs aus meiner eigenen Jugend bin ich erstmal schockiert: Auf den Daumenlutscher kommt ein offensichtlich geisterkranker Schneider zugestürmt und trennt ihm blutig mit einer übergroßen Schere den Finger ab, Suppenkaspper stirbt eines qualvollen Todes und Paulinchen, die mit einem Feuerzeug hantiert, endet als Haufen Asche. Manchmal bin ich aber auch überwältigt vor Rührung: Zum Beispiel, wenn Hase und Igel sich ewige Freundschaft schwören in „Wir gehören zusammen“. Auch das Gedächtnis wird durch das wiederholte Vorlesen von Michis Lieblingsbüchern wie dem Grüffelo gut trainiert. Letztens meinte ein Kollege zu mir: „So, jetzt hab ich Hunger!“ Reflexartig fuhr ich fort: „...mir knurrt schon der Magen. Grüffelogrütze könnte ich heut gut vertragen!“ Der verständnisvolle Blicke zeigte mir, dass auch der Kollege ein Kind zu Hause hat.

Elternzeit! Oder: „Endlich ausschlafen!“


In der Elternzeit besteht die gesetzliche Pflicht, mit dem Nachwuchs im Wohnmobil nach Skandinavien aufzubrechen. Diesen Eindruck gewinne ich in letzter Zeit bei Gesprächen mit unseren Freunden. Beinahe jeder mietet sich ein Wohnmobil, packt es voll und ab in den Norden. Fast schon mitleidig werde ich belächelt und fühle mich „ertappt“, wenn ich erkläre, nur ein paar Tage in eine Ferienwohnung im Allgäu zu fahren und ansonsten daheim in Augsburg zu sein.

Zwei Monate Elternzeit also, einen Monat komplett frei, einen Monat arbeiten in Teilzeit. Eine junge Kollegin verabschiedet mich mit den Worten: „Super, so lange Urlaub! Jetzt kannst endlich mal wieder richtig ausschlafen!“ Ja, wenn 5.30 Uhr ausschlafen ist, stimmt das. Und mit Urlaub hat das Ganze eigentlich auch recht wenig zu tun: Wickeln, wieder wickeln (Michi erledigt sein großes Geschäft vorzugsweise, wenn er fünf Minuten vorher eine neue Windel bekommen hat. Kennt ihr das oder ist nur er so?), hinterherrennen, wenn er in Richtung Klobürste robbt (Auf Krabbeln hat der feine Herr keine Lust. War bei seinem Vater aber auch der Fall, heißt es...) oder sich überall hochzieht, fürstliche Brei-Mahlzeiten zubereiten usw.

Aber ist das jetzt schlimm? Nein, keineswegs. Ein Vater sollte nur nicht mit der Erwartung in die Elternzeit gehen, jetzt mal wochenlang die Füße hochlegen zu können – So wie es „früher“ ohne Kind war. Denn Alltag mit Kind ist auch etwas Wunderschönes. Mitzubekommen, wie Michi sich zum ersten Mal hinsetzt (und danach zum ersten Mal hinfällt und auf sein Gesicht plumpst). Wie er zum ersten Mal auf seinem Hochstuhl am Tisch der Eltern sitzt und nach einem Stück Schinken und seiner Breze giert. Oder den ersten Leberwurst-Toast mit seinen vier Zähnen zerlegt. Wie er sich im Spiegel erkennt oder dem Papa zum ersten Mal bewusst zuwinkt. Diese Momente sind so kostbar, dass es völlig egal ist, wo man sie erlebt. Ob am Strand von Stavanger in Norwegen im Wohnmobil oder im Domviertel im heimischen Wohnzimmer.



Sport mit Baby – Michi als E-Gitarre


Hätte man mir vor einem Jahr gesagt, dass ich mal einen straffen Gurt mit einem 9-Kilo-Baby trage, dazu ein grünes Gummiband um die Füße habe und mir in einer Gruppe von 15 Frauen der Schweiß in Strömen runterläuft – Ich? Niemals! Dass es so etwas überhaupt gibt - Sport mit und für das Baby, die Mama oder eben den Papa.

Und so steh ich hier auf meiner Matte in der Hebammenpraxis Kinderreich. Neben mir Carsten, der zweite mutige Mann unter Neu-Müttern und Trainerin Anne.

Michi liegt zufrieden auf seinem Handtuch. Kein Wunder, er kennt das Prozedere. Den Anfang bekomme ich schon mal nicht mit. Jeder berichtet, wie es gerade geht. Das merke ich erst, als ich dran bin und stammle irgendwas von Michis erstem Zahn und unruhigem Schlaf. Michi wirkt wenig erfreut, dass ich solche intimen Details ausplaudere.

Das Begrüßungslied beginnt, das alle außer Carsten und mir kennen. Wir blicken uns irritiert an, können aber zum Glück einige nicht allzu komplexe Reime erschließen (Der Bär sagt brumm, die Biene macht... genau!)

Nach dem Aufwärmprogramm denke ich mir, dass das Ganze spielend zu meistern ist. Dann kommt allerdings Anne mit dem Gurt und schnallt mir Michi um. Los geht’s. Marschieren zum treibenden Bass, ein V laufen (Bitte?), Beine an den Po ziehen und so weiter. Nach fünf Minuten tropft der Schweiß von mir und Michis Haarpracht ist nass. Ich bin außer Atem. „Warum hältst du dein Kind wie eine E-Gitarre?“, fragt mich Anne. Sie hat recht, Michi hängt ziemlich schief in den Seilen. Er schläft. Naja, wer sonst bei Kopfsteinpflaster und laufendem Staubsauger ein Nickerchen macht, kann das wohl auch beim Sport. Ich wäre zwar froh, einen Vorwand für eine Pause zu haben, aber die Blöße will ich mir nicht geben und mache schwitzend bis zum Ende weiter. Bis wieder ein Song gesungen wird, in dem jedes Baby verabschiedet wird. Ich winke einfach stets fröhlich und bin erstaunt, wie sich die Mütter 15 Baby-Namen merken können. Dann gehen Finn, Paul, Philine, Penelope, Michi und Co. nach Hause. Am Tag darauf habe ich einen saumäßigen Muskelkater – und deutlichen Respekt davor, was die Mamas hier jede Woche tun.


Männer allein daheim


Oh Gott, meine Frau Julia geht aus! Zum ersten Mal nach der Geburt von Michael. Früher hätte ich gesagt: „Ja, viel Spaß“ und hätte entweder auf der Couch Fußball geschaut oder wäre mit den Jungs in die Kneipe ums Eck. Jetzt: „Ja, viel Spaß... Wart mal, wo liegt Michis Schlafanzug gleich nochmal? Und welche Windel für die Nacht?“ Aber da ist die Tür schon zu. Was für meine Frau mittlerweile tägliche Routine ist, bedeutet für den Papa noch Neuland.
Im Wohnzimmer schaut mich Michi mit seinen großen Kulleraugen erwartungsvoll an. Ich hole das Glühwürmchen, sein Lieblingsspielzeug, und lasse es über ihm fliegen. Michi ist angetan, hüpft und quiekt, legt wenig später aber ein Nickerchen ein. Erste Bewährungsprobe bestanden. Eigentlich ist das ja alles nicht komplett neu. Neu ist nur, dass Michi und ich allein sind. Ein Scheitern und ein verzweifelter Weinkrampf (meinerseits) sind damit keine Option. Dann das lautstarke Erwachen. Könnte Michi schon sprechen, würde er wohl sagen: „Mein Vater, man reiche mir bitte die mit 1er-Milch angereicherte, wohltemperierte Flasche. Vielen Dank!“ Kann er aber nicht, deshalb Geschrei. Also, schnell die Gute-Nacht-Flasche, bevor es zum Umziehen auf die Wickelkommode geht. Eine schweißtreibende Angelegenheit – nicht nur wegen der Wärmelampe direkt über uns. Michi ist gut drauf, lacht und ist eher nicht bereit, sich widerstandslos die Windel und den Pyjama überstreifen zu lassen. Irgendwann scheint dann alles zu sitzen und wir liegen beide im Bett. Noch kurz eine Geschichte vorlesen. Michi lauscht interessiert, gähnt aber recht schnell, was hoffentlich nichts mit meiner Präsentation zu tun hat. 20 Minuten vollzieht er noch allerlei Turnübungen und ich versuche, ihn mit Gesang (Ich! Singen!!) zu beruhigen. Dann fallen ihm die Augen zu.
Jetzt noch Fußball schauen, ein Bier aufmachen? Ach, jetzt wo ich auch schon so schön im Bett liege... Ich lösche das Licht.
Dass Julia irgendwann wiederkommt, bekomme ich nicht mit.
Am nächsten Morgen fragt sie: „Na, hattet ihr einen schönen Abend?“ „Klar, wir haben Bier getrunken, Fußball geschaut und sind dann eingepennt!“ Michi lacht.